Opferrollen

Eine Klientin wollte erfahren, warum es mit ihrem Verlobten dieses ständige auf und ab gab. Sie beschrieb ihren Verlobten als innerlich komplett zerrissen und oftmals depressiv mit unglaublichen Stimmungsschwankungen. Das war in den ersten Monaten kaum bemerkbar und verstärkte sich immer mehr mit seiner stetigen Gewichtszunahme. Er litt, wie sich herausstellte, auch noch an Diabetes.

Obwohl er selbst als Coach beratend tätig war, schaffte er es nicht, all seine guten Ratschläge, für sich selbst umzusetzen. Was er heute bejahte, verneinte er am nächsten Tag schon wieder. An einem Tag wollte er am liebsten sofort zum Standesamt fahren, dann sich doch lieber Zeit lassen und nichts überstürzen. Dieses unbewusste „Spiel“ trieb er nunmehr seit mehr als zwei Jahren so mit ihr.

Sie hatte ihren gut bezahlten Job aufgegeben, und zog zu ihm auf sein großes Anwesen, das weit entfernt lag. Er wünschte auch nicht, dass sie sich einen neuen Job suchte, das bräuchte seine Frau nicht und schließlich gäbe es auch auf dem Anwesen genug zu tun. Ihre Geldreserven waren mittlerweile, nach nunmehr 2 Jahren aufgebraucht, und sie hatte ein immer größeres Problem damit, unter diesen Umständen, von ihm abhängig zu sein.

Sie unterstützte ihn über den gesamten Zeitraum hinweg, dieses alte Anwesen zu sanieren. Er hatte zu Beginn versprochen, es zu verkaufen, sowie es fertig renoviert sei und dann mit ihr in ihre Heimat zu ziehen. Denn das Anwesen war über die Jahre zu einer Belastung geworden. Viel zu groß für 2 Personen. Ohne Angestellte nicht in den Griff zu bekommen. Nach Fertigstellung, wollte er es plötzlich nicht mehr wirklich verkaufen. Heute ja, morgen nein… Auch die versprochene Entlohnung für die 2-jährige Unterstützung konnte er ja nun leider nicht leisten. Das ginge ja nur, wenn das Anwesen auch tatsächlich verkauft würde….

Nachdem sie sich also nun 2 Jahre lang buchstäblich beide Beine ausgerissen hatte und das Anwesen endlich fertig renoviert war, nun diese Ernüchterung. Wollte er es je wirklich verkaufen? War das alles nur ein Trick? Was kann sie ihm jetzt noch glauben? Soll sie noch bei ihm bleiben, da sein Verhalten vielleicht doch nur durch diese Krankheit so negativ beeinflusst wird? Hätten sie eine Chance, wenn das Anwesen doch endlich verkauft würde? Was soll sie daraus lernen? Geht es vielleicht darum nicht so schnell aufzugeben? All diese Fragen wollte die Klientin gerne beantwortet haben.

Der Sitzungsleiter führte sie also in ihre Kindheit zurück, dann in den Mutterleib und von da aus in ein früheres Leben das jetzt wichtige Botschaften für sie bereithalten sollte. Die Klientin sah sich als jungen Burschen in England im 11. Jahrhundert alleine auf einer Lichtung stehen.

Sitzungsleiter: was machst Du da auf dieser Lichtung?

Klientin: … ich übe mit Pfeil und Bogen zu schießen… und ich übe sehr viel und bin richtig gut…

Sitzungsleiter: warum übst Du so viel?

Klientin: … sowie ich 16 Jahre alt bin, darf ich am Turnier teilnehmen… und der Gewinner wird in das Gefolge des Königs aufgenommen…

Sitzungsleiter: dann gehe nun in die nächste wichtige Szene aus diesem Leben. Was zeigt sich Dir?

Klientin: …ich bin 16 Jahre alt… nehme am Turnier teil… stehe in einer Reihe mit anderen Bogenschützen… wir setzen unsere Bogen an und visieren unsere jeweilige Zielscheibe an….

Sitzungsleiter: was fühlst Du dabei?

Klientin: … ich weiß ganz genau, dass ich dieses Turnier gewinne… ich weiß das einfach, tief aus meinem Innern und bin ganz ruhig….

Sitzungsleiter: was passiert jetzt?

Klientin: … ich treffe genau in die Mitte… und gewinne das Turnier….

Sitzungsleiter: wie geht es nun weiter?

Klientin: … ich werde in das Gefolge des Königs aufgenommen und der König verreist mit seinen Rittern und einem Teil seiner Gefolgschaft… ich darf auch mitreisen…

Sitzungsleiter: was passiert nun?

Klientin: … [ganz aufgeregt] …wir werden angegriffen… sie hatten sich unter Netzen, die mit Laub bedeckt waren versteckt… es sind so viele…. zu viele für uns… sie metzeln uns fast alle nieder… alle Ritter sind schon gefallen… wir können nur noch den Rückzug antreten…

Sitzungsleiter: wie viele haben überlebt?

Klientin: … nur mein König und ich… es war grauenhaft…

Sitzungsleiter: Wie geht es jetzt weiter?

Klientin: … da ich dem König das Leben retten konnte, werde ich zum Ritter geschlagen und in der Schwertführung ausgebildet… viele Monate lang…

Trauriger Smiley

Sitzungsleiter: was passiert dann?

Klientin: … wir starten einen erneuten Versuch und verreisen mit dem König… wir werden wieder angegriffen… wieder wie damals… sie kriechen unter ihren Netzen hervor und stürmen wild mit Äxten auf uns los…. es sind so viele… sie sind uns zahlenmäßig weit überlegen… mein Pferd bäumt sich auf…. ich verliere den Halt … und stürze rückwärts vom Pferd… im selben Moment kommt eine Axt von oben genau auf meinen Kopf zu…

Sitzungsleiter: überlebst Du das?

Klientin: … nein … meine Seele hat den Körper schon verlassen … kurz bevor die Axt den Kopf spaltete … damit ich diese negative Emotion nicht mitnehme… ich betrachte jetzt meinen toten Körper von oben…

Sitzungsleiter: was fühlst Du jetzt?

Klientin: …[mit sehr trauriger Stimme] ich war noch so jung… hatte mein ganzes Leben noch vor mir…

Sitzungsleiter: was denkst Du jetzt über das was passiert ist?

Klientin: … es war meine Aufgabe meinen König zu beschützen, ich habe alles gegeben, was ich konnte… habe mein Leben für ihn gegeben… ich habe meine Aufgabe erfüllt… mehr geht nicht…

Sitzungsleiter: kommt Dein König diesmal durch?

Klientin: … [schon viel fröhlicher] oh ja, ich begleite ihn noch ein ganzes Stück… schwebe über ihm… und versichere mich, dass er auch gut ankommt…

Sitzungsleiter: möchtest Du Dich noch von jemandem verabschieden?

Klientin: … von meinen Eltern… [wieder sehr traurig und weinend] … mein Vater ist der Schmied… und ich war ihr einziges Kind… sie sind so traurig… ich wirbel ganz wild um sie herum… aber ihre Trauer ist zu groß… sie bemerken mich nicht… wenn sie doch nur wüssten, dass es mir gut geht…

Sitzungsleiter: möchtest Du von da aus noch ein kleines Stück in die Zukunft schauen?

Klientin: … ja, ich warte darauf, dass mein König zurück kommt…

Sitzungsleiter: kommt er unversehrt zurück?

Klientin: … ja, er hat Verstärkung mitgebracht… es gibt ein Fest… und meine Eltern sind sehr stolz, wenngleich sie immer noch sehr traurig sind… sie werden an meiner Stelle für meine Tapferkeit geehrt…

Sitzungsleiter: sieh Dich einmal um, kannst Du Deinen Seelenführer schon wahrnehmen, vielleicht spüren?

Klientin: … oh ja, er ist schon bei mir, ich kann ihn auch sehen… er begrüßt mich… ist sehr zufrieden mit mir…

Sitzungsleiter: warum hat er Dir dieses Leben gezeigt?

Klientin: … nun… in dem gezeigten Leben als Ritter, war es meine Aufgabe meinen König zu beschützen…

Sitzungsleiter: und weiter?

Klientin: … in diesem Leben ist es nicht meine Aufgabe meinen Partner zu beschützen und schon gar nicht mich für ihn aufzuopfern…

Sitzungsleiter: was ist Deine Aufgabe für dieses Leben?

Klientin: … lernen, nicht in die Opferrolle zu gehen… für mich selbst einzustehen… nicht ewig auf etwas zu warten, was dann wohl doch nicht kommt… deutlich und souverän für mich einstehen… es ist eine Lektion in der Selbstliebe…

Sitzungsleiter: und wie sollst Du das tun?

Klientin: … indem ich es kommuniziere … laut und deutlich… jedoch immer noch liebevoll… und nicht alles hinunterschlucke… auch kommuniziere, dass ich dann konsequent sein werde, wenn Versprechen wieder nicht gehalten werden…und… es dann auch umsetze…

Die Aufgabe der Klientin in diesem Leben war und ist es also für sich selbst einzustehen. Sie ging mit Klarheit und mit diesem guten Vorsatz aus unserer Sitzung hinaus und setzte es konsequent um. Nachdem sie anfing für sich selbst einzustehen, wurde sie für ihren Verlobten sehr unbequem, was zu immer größeren Konflikten führte, und schließlich auch dazu, dass sich die Klientin von ihrem Partner – der sie auf Knien anflehte nicht zu gehen, er würde sie sofort heute noch heiraten wollen – trennte. Sie hat diesen Schritt auch nie bereut und erfreut sich einer neuen Leichtigkeit und Freiheit.